Warum liegen wir im Urlaub wohl so gerne am Strand? Gut, da ist das Rauschen des Meeres. Die Sonne, die Wärme. Einfach Urlaub. Aber ich glaube, es steckt noch mehr dahinter, nämlich die Tatsache, dass wir auf der Erde liegen, und zwar mit dem ganzen Körper. Und das stundenlang – und vielleicht sogar mehrere Tage hintereinander. Herrlich! Die Sorgen sind verflogen, der Atem wird tiefer, der Geist ruhiger und das Herz weiter. Wir entspannen uns – und laden die Akkus wieder auf. Und für alle, die nicht gerne am Strand liegen: das geht auch auf Wiesen, Feldern, in Wäldern, auf Felsen … ja sogar auf einem Gletscher.

Deine Verbundenheit mit der Erde gibt dir Kraft, das ist ein altes, ja ein uraltes Wissen. Eine alte Heilmethode ist das Auf-der-Erde-Liegen sogar, wie du gleich erfährst. Unsere Vorfahren wussten, dass die Erde so viel mehr ist als der Boden unter unseren Füßen. Für sie war die Erde ein lebendiges Wesen, die große Mutter und eine göttliche Kraft.

Begegne mit mir den allerersten Tempeln der Menschheit, uralten Erdgöttinnen der Germanen und entdecke, was du tun kannst, um dich wieder mit der Kraft der Erde zu verbinden, um besonders in Zeiten des Wandels zu heilen, dich zu erden und zu verwurzeln.

Mutter Erde – lebendige Seele unserer Welt

von Nicole Roewers

Im Bauch der Erde – wo alles begann

Um die spirituelle Bedeutung der Erde zu verstehen, müssen wir weit zurück. Sehr weit. Tief hinein in die Urzeit der Menschen und auch tief hinein in die Erde, bzw. in den Bauch der Erde: wir gehen zurück in die Höhlen. Höhlen boten uns Menschen nicht nur Unterschlupf vor schlechtem Wetter oder vor Raubtieren. Höhlen waren schon vor mehr als 40.000 Jahren so etwas wie Tempel. Sie waren die ersten Kultorte. Im tanzenden Schein der Fackeln brachten die Menschen dort ihre ersten Kunstwerke an die Wände. Dort fanden schamanische Rituale statt. Dort wurden die Liebsten bestattet. Dort schnitzten sie ihre ersten atemberaubend schönen Kunstwerke aus Mammutelfenbein. Dort machten sie ihre erste Musik und ließen die Töne der ersten Flöten durch die Tiefe hallen.

All das geschah tief im Bauch der Erde, in dem sie Schutz fanden und Wärme in den gnadenlosen Wintern der Eiszeit. Da draußen war die Wildnis, unberechenbar und voller Gefahren, gigantisch großen Raubtieren, eisigen Winden, weiten Steppen. Utgard, die Welt außerhalb, ein Land, in dem die Riesen tobten, die Frostriesen, die Eisriesen, die Sturmriesen und viele viele mehr. Der Bauch der Erde dagegen war das Zuhause. Und mit konstanten 9 Grad Celsius vergleichsweise kuschelig im Gegensatz zu den rauen Eiszeitstürmen.

Die Erde wird zur Mutter

Als die Menschen sesshaft wurden, und das war bei uns vor ca. 5000–6000 Jahren (also noch nicht einmal ein, sorry, Fliegenschiss in der Evolution des Menschen), bauten sie sich ihre ersten eigenen Höhlen: die ersten feststehenden Häuser aus Lehm und Holz. Und die Erde bekam eine ganz neue Bedeutung: Sie wurde die Mutter, die Nahrung gab. Die Erde wurde zum Acker, die Wildnis wich der Kultur. „Mutter Erde“ war geboren.

Der Archetyp der Mutter ist eine nährende, eine haltende, eine tragende Kraft, und die Erde nährt und trägt alle Wesen, bietet Schutz, lässt in unermesslichem Maß immer wieder neues Leben entstehen und nimmt am Ende die Toten wieder in sich auf. Sie wird zur universellen Mutter, zum Sinnbild des ewigen Kreislaufs des Lebens, in dem nichts verloren geht. Im Erleben unserer Vorfahren ist sie eine beseelte, lebendige Kraft, mit der sie in einer innigen Beziehung standen – und der sie schon bald göttliche Namen gaben.

Die Erde wird zur Göttin

Alle alten Kulturen des gesamten sesshaften Europas haben ihre eigenen Erdgöttinnen, und das schon seit vielen Jahrtausenden. Noch heute kennen wir die Namen Demeter, Ceres, Gaia, Magna Mater u. a. Und natürlich hatten auch die alten germanischen Völker ihre Erdgöttinnen, die sie kulthaft verehrten. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus beschreibt 90 n. Chr. die Erdgöttin Nerthus, die wahrscheinlich in den nordwestgermanischen Gebieten des heutigen Schleswig-Holsteins und Dänemarks verehrt wurde. Für sie wurden große und aufwendige Kultfeste abgehalten. Die Göttin wurde dabei verhüllt auf einem von Kühen gezogenen Wagen über Land gezogen – ein Fest, bei dem es ganz offenbar um die Fruchtbarkeit der Erde ging. Auch wenn man immer wieder liest, dass es um Fruchtbarkeit und Frieden ging, war der Umzug für die Sklaven, die den Wagen begleiteten, sicher nicht so erfreulich. Denn so heilig war die Göttin Nerthus, dass kein Lebender sie gesehen haben sollte. Zusammen mit dem Wagen und dem Abbild der Göttin wurden die Sklaven laut Tacitus am Ende der kultischen Handlungen im See versenkt.

Diese germanischen Erdgöttinnen gab es noch:

Jörd. Die Erdgöttin des Nordens. Jörd heißt altnordisch „Erde“. Und wie in vielen alten Mythen, geht auch die nordische Erdgöttin eine Liaison mit dem Himmelsgott Odin ein. Jörd und Odin vereinen sich, und aus dieser Verbindung geht der stärkste aller Götter hervor: Thor. Die Hieros gamos, die heilige Hochzeit der germanischen Mythen.

Frau Holle. Frau Holle ist keineswegs „nur“ eine Märchenfigur, sondern eine uralte mitteleuropäische Erdgöttin. Ihr Reich liegt unter der Erde, und das Märchen um Frau Holle erinnert an den jahrtausendealten Glauben, dass dieses für uns unsichtbare Reich über einen Brunnen erreicht werden kann. In ihrem Reich regelt die alte Göttin allerhand Dinge, die in der Menschenwelt geschehen. Sie regelt Fruchtbarkeit und Jahreszeiten, Leben, Tod und Wiedergeburt. (Schau dir dazu gerne meinen Blogbeitrag … an, in dem ich vom Frau-Holle-Teich schreibe, den du besuchen kannst.)

Hel. Nah bei Frau Holle ist auch Hel, die Göttin der Unterwelt, die über das Reich der Toten herrscht, das Reich des Verborgenen – das, was unter der Erde liegt. Ihre eine Gesichtshälfte ist wunderschön und jung, ihre andere verrottet. Das ist nicht gruselig, sondern der Lauf des Lebens. Es beschreibt den ewigen und heiligen Kreislauf von Werden, Sein, Vergehen und Wiedergeburt. Jedes Leben kehrt irgendwann in den Bauch der Erde zurück. Und kommt wieder aus ihm hervor. Einer germanischen Bestattung dürfte wohl auch der Gedanke beigewohnt haben, dass man der großen Mutter ihre Kinder wieder zurückbringt. Stille und uralte Zeugen dafür gibt es noch heute.

Hügelgräber – Im Bauch der Erde, wo alles endet

Eine sehr sehr alte Bestattungsform sind Hügelgräber. Über zig Jahrtausende legte man die Toten zurück in den Schoß der Erde und bedeckte sie mit so viel Erde, dass die entstandenen Hügel weit in der Landschaft zu sehen waren. So entstanden Grabhügel, und nicht nur einzelne, sondern ganze Friedhöfe, die über Jahrtausende genutzt wurden und immer größer wurden. Ganze Hügelgrab-Landschaften sind so entstanden.

Vor einigen Wochen hatte ich das große Glück, inmitten einer solchen Hügelgrab-Landschaft zu stehen. Es war faszinierend. Südlich von Bremen, in der Wildeshauser Geest im sogenannten Pestruper Gräberfeld, kannst du das größte zusammenhängende Gräberfeld aus der Bronzezeit bestaunen: 531 Hügelgräber. Ich stand mittendrin, bin zwischen den Hügeln herumspaziert – und kann dir sagen, das war ein wahrhaft magisches Erlebnis. Manche der Gräber sind so alt wie die Pyramiden in Ägypten, die meisten stammen aus der Zeit etwa um 500 v. Chr. Eine bis zu 4000 Jahre alte Nekropole, eine stille Zeugin für die Bedeutung der Erde über den Tod hinaus.

Erdgeister und Erdzauber

Die Erde als Wesen wurde nicht einfach so „benutzt“, so wie wir das heute allzu sorglos machen. Sie wurde um Erlaubnis gefragt – besser gesagt, die Geister, die sie bewachten, die Landgeister und Naturgeister oder im Norden die Landvaettir. Ihnen wurden Opfer gebracht, um in Harmonie mit ihnen zu leben. Bis heute achtet man in Island ihre Bedürfnisse, etwa beim Straßenbau. Vielleicht sind die Isländer deswegen ein so glückliches Volk, weil sie in Harmonie mit den Kräften der Erde leben?

Die Äcker wurden gesegnet, sie wurden „bezaubert“, um fruchtbar zu werden. Neugeborene Kinder wurden auf die Erde gelegt, um die Kraft der Erde in sich aufzunehmen und stark und widerstandsfähig zu werden. Im Utiseta, dem germanischen „draußen Sitzen“, saßen die Menschen nächtelang auf der Erde, um sich mit den geistigen Welten zu verbinden, und sogar vom nächtlichen Liegen auf dem Feld ist die Rede, wenn es darum ging, Krankheitsgeister auszutreiben. Das alles kann man getrost als Erdzauber bezeichnen.

5 Rituale zur Verbindung mit der Kraft der Erde

1. Barfußgehen auf natürlichem Boden (Earthing)
Gehe barfuß über Wiesen, Waldboden, Sand oder Erde – selbst ein paar Minuten täglich reichen. Du wirst merken, wie deine Gedanken zur Ruhe kommen und deine Energie sich verändert. Die direkte Verbindung über die Fußsohlen bringt dich energetisch in Einklang mit der Erde und kann sogar das Nervensystem beruhigen.

2. “Auf-der-Erde-Liegen” – bewusstes Erdenritual
Leg dich für 20–30 Minuten bewusst auf den Boden: auf eine Wiese, in einen Wald, oder auch in deinen Garten. Spüre das Gewicht deines Körpers, den Atem, der sich mit dem Rhythmus der Erde verbindet. Stell dir vor, du wirst von Mutter Erde gehalten und genährt. Dieses Ritual kann besonders in stressigen Zeiten stabilisieren und Kraft schenken.

3. Erdgaben und Dankritual
Schenke der Erde etwas zurück. Lege zum Beispiel Blumen, Früchte oder ein kleines Stück Brot an einen Ort in der Natur als Gabe nieder – begleitet von einem Dankgebet oder einer kurzen Meditation. Zeige Wertschätzung für das, was die Erde dir gibt. Dieses einfache Ritual stärkt die Beziehung zwischen Mensch und Erde.

4. Erde berühren – Tonen, Gärtnern, Handarbeit mit Erde
Forme etwas mit Ton, pflanze Blumen oder Gemüse, oder arbeite einfach mit den Händen in der Erde. Während du dies tust, sei achtsam – spüre die Textur, den Geruch, die Kühle oder Wärme der Erde. Verbinde jede Berührung mit einer inneren Intention: z. B. Dankbarkeit, Heilung oder Loslassen.

5. Nachtmeditation draußen (Utiseta inspiriert)
Setze dich bei Dunkelheit (oder Dämmerung) an einen ruhigen Platz draußen, am besten auf einem natürlichen Untergrund. Lass dein Handy aus, sprich nicht, beobachte nur – die Geräusche, Gerüche, das Licht. Vielleicht richtest du deine Aufmerksamkeit auf einen Wunsch, eine Frage oder ein Thema, das Heilung braucht. Bleibe ruhig sitzen und lausche – nach innen und außen.

Lass dich in die tiefe Verbindung zur Erde führen – spüre Halt, Ruhe und neue Energie. Die Meditation ist ideal, um nach dem Lesen des Beitrags ganz bei dir anzukommen und die Erdung direkt zu erleben.

 

Einen magischen Sommer mit viel Erdkraft wünscht

Nicole

1 Kommentar

  1. Faszinierend, Hel als Erdgöttin… ja, das verrottende gehört dazu, zur Schöpfung… wär doch schrecklich, wenn alles ewig leben würde. Das gäbe ja keinen Platz für Entwicklung und für neues. Aber interessant ist auch, was Loki alles an Kinder in die Welt gebracht hat. Ich hoffe, du findest da auch für die anderen noch andere Erklärungen als die, uns überliefert wurden.

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